Im Millionen-Prozess zeigte sich Claudia Pechstein versöhnlich, der Eislauf-Weltverband aber unnachgiebig. Bei der Verhandlung vor dem Oberlandesgericht München wurde eine Entscheidung vertagt, nachdem die Vertreter der Isu einen vom Richter eindringlich angeregten Vergleich zunächst abgelehnt hatten. Vor dem 29. Zivilsenat wird die Klage der 52 Jahre alten Berlinerin auf Schadenersatz und Schmerzensgeld für eine 2009 ihrer Meinung nach zu Unrecht verhängten zweijährigen Doping-Sperre verhandelt (Az. U 1110/14 Kart.). Die Eisschnelllauf-Olympiasiegerin hatte Doping stets bestritten und dies auch vor Gericht wiederholt.
Pechstein fordert von der Isu eine Summe von fast 8,4 Millionen Euro. Sollten sie und die Isu sich nicht außergerichtlich einigen, wird der Prozess nach Angaben des Richters am 13. Februar 2025 fortgesetzt. «Grundsätzlich bin ich noch nie so nah an der kompletten Rehabilitation wie heute gewesen», sagte Pechstein anschließend. Sie sei froh, dass sie als deutsche Sportlerin und Bundespolizistin vor einem deutschen Gericht ein Statement abgeben durfte. Es sei «ein sehr guter Tag für die Gerechtigkeit gewesen», befand sie. Ihre Hoffnung auf Rehabilitation und Schadenersatz «ist sehr groß».
Auf Drängen des Richters steht nun ein weicher Kompromiss im Raum. Die Isu soll bis zum 14. November eine Ehrenerklärung formulieren. Anschließend soll Claudia Pechstein entscheiden, ob sie damit einverstanden ist. Danach könne über den Schadenersatz gefeilscht werden. Die Anwälte der Isu erklärten, sich erst mit der Verbandsführung beraten zu müssen. «Ich habe das Gefühl, dass die Isu immer noch nicht verstanden hat, dass sie da Fehler begangen haben. Gerechtigkeit siegt, ist mein Motto», erklärte die Berlinerin.
Pechstein und ihre Anwälte hatten sich gesprächsbereit gezeigt und finanzielle Abstriche bis zur Hälfte der geforderten Summe in Aussicht gestellt. «Räumt die Isu öffentlich ein, dass es falsch war, mich zu sperren, bin ich zu einem Vergleich bereit. Ansonsten erwarte ich ein Urteil im Namen des Volkes», sagte die Sportlerin vor Gericht.
In einer emotionalen Erklärung sagte sie, dass sie Suizidgedanken hatte und brach in Tränen aus. Sie musste sich in Begleitung ihres Lebensgefährten Matthias Große vor dem Saal erst wieder fangen.
Dagegen gab sich ein juristischer Berater des Weltverbandes vor Gericht knallhart. Michael Geistlinger erklärte, dass es weder eine Entschuldigung geben werde noch ein Bekenntnis, Unrecht getan zu haben. Überdies sei es ausgeschlossen, die von Pechstein geforderte Summe zu zahlen. Der Hinweis auf das Vermögen des Verbandes bedeute nicht, «dass für eine einzige Sportlerin in einem einzigen Verfahren Millionen auf den Tisch gelegt werden können».
Der Isu-Berater drohte Pechstein, dass die juristische Auseinandersetzung noch viele Jahre weitergehen könnte, sollte sie nicht einlenken. «Sie müssen weiterdenken», sagte Geistlinger direkt an Pechstein gewandt, «kommt es zu einer Entscheidung gegen uns, gehen wir weiter. Sie müssen entscheiden, ob sie weitere 15 Jahre damit verbringen wollen.» Pechsteins Lebensgefährte Große konterte: «Wer 15 Jahre kämpft, der kämpft auch nochmal 15 Jahre.»
Ausgangspunkt für den juristischen Marathon durch Sport- und Zivilgerichte war eine zweijährige Sperre durch den Eislauf-Weltverband Isu wegen Verstoßes gegen die Anti-Doping-Regeln am 1. Juli 2009. Sie sei «verantwortlich für die Anwendung der verbotenen Methode des Blutdopings», heißt es in der Begründung. Bei Blutkontrollen bei der Mehrkampf-WM vom 7. bis 9. Februar 2009 im norwegischen Hamar waren überhöhte Werte von Retikulozyten festgestellt worden.
Retikulozyten sind «junge» rote Blutkörperchen, die nur eine kurze Zeit lang nachweisbar sind, ehe sie zu «erwachsenen» Blutkörperchen werden. Diese sind für den Sauerstofftransport im Körper zuständig. Bei Pechstein wurde eine vom Vater vererbte Blutanomalie (Sphärozytose) festgestellt. Auch nach Ablauf ihrer Sperre blieben die Retikulozyten-Werte höher als erlaubt, Sanktionen durch die Isu erfolgten jedoch nicht mehr.
Ihre sportliche Karriere wird Claudia Pechstein vorerst fortsetzen. «Ich habe immer gesagt, ich mache so lange weiter, bis der Fall beendet ist. Wenn der Fall noch zehn Jahre dauert, werde ich meine Karriere wahrscheinlich vorher beenden», kündigt die 52-Jährige an.
Ob sie allerdings bei den deutschen Meisterschaften von diesem Freitag an in Inzell startet, ließ sie offen. «Mal gucken.» Im vergangenen Jahr hatte die Berlinerin ihren insgesamt 43. deutschen Meistertitel gewonnen. Die Entscheidung auf ihrer zuletzt erfolgreichen Strecke 5.000 Meter steht am Samstag auf dem Programm.
Quelle: dpa