Für Markus Söder steht es schon länger fest: Ohne Atomstrom kann der wachsende Energiehunger in Deutschland oder in Bayern nicht mal ansatzweise gestillt werden. Aus Sicht des bayerischen Ministerpräsidenten war und ist der Atomausstieg ein fundamentaler Fehler – auch wenn seine Partei einst im Bundestag dafür stimmte. Da eine Renaissance der Kernkraft in Deutschland aber trotz vorgezogener Neuwahl nicht absehbar ist, sucht der CSU-Chef nun hoffnungsvoll im Ausland nach Alternativen.
«Mittlerweile ist Strom in Deutschland – nicht nur in Bayern – ein Standortnachteil geworden», betont Söder bei seiner Reise zu Tschechiens Regierungschef Petr Fiala. Mit ihm, so Söder, will er eine Allianz schmieden, die Kernenergie liefert in Form einer «privilegierten Stromversorgung». Mindestens nach Bayern, aber auch die anderen deutschen Freistaaten Sachsen und Thüringen könnten profitieren, so Söder. Doch was sich hinter dieser Idee verbirgt, ist offen. Es könne, so Söder, ein günstigerer Preis sein, mit Sicherheit gehe es um mehr Strom und Versorgungssicherheit.
Und genau hier kommt Tschechien ins Spiel: Die Regierung in Prag will in den nächsten Jahrzehnten massiv in den Ausbau der Kernenergie investieren. Erst vor wenigen Monaten hat die liberalkonservative Regierung entschieden, am Standort Dukovany, knapp 170 Kilometer südöstlich von Prag, ab 2029 zwei neue Reaktoren errichtet zu wollen. Die Kosten belaufen sich auf knapp 8 Milliarden Euro je Reaktor. Zudem gibt es sechs Altmeiler.
Bis zum Jahr 2040 will Tschechien den Anteil der Atomkraft am Strommix von derzeit etwa 40 Prozent auf mehr als die Hälfte ausbauen. Die Kohleverstromung soll dafür bis 2033 enden. Der Pro-Atomkurs trifft in der Bevölkerung und in den Medien auf breite Zustimmung. 2023 war Tschechien einer der wenigen Netto-Stromexporteure in der EU.
Für Söder bietet das eine große Chance für Deutschland und Bayern. «Unser Strombedarf wächst. Wir gehen von einer massiven Stromsteigerung aus durch alle Formen der Elektrifizierung und durch hoffentlich ein weiteres Hochlaufen der E-Mobilität durch die gesamten digitalen Prozesse», sagt er. Zugleich fürchtet er eine Deindustrialisierung. Nur durch einen Zubau an erneuerbaren Energiequellen allein sei der Energiehunger nicht zu kompensieren.
In Zahlen ausgedrückt liest sich Bayerns Stromdilemma wie folgt: 2023 wurden laut Landesamt für Statistik 60,6 Terawattstunden Strom erzeugt – der niedrigste Wert seit 1984. Hauptgrund dafür war die Abschaltung des letzten Kernkraftwerks, aber auch Kohle und Gas wurden seltener verstromt. Gleichzeitig stieg die Produktion von erneuerbaren Energien nur um gut 6 Prozent auf 42,7 Terawattstunden.
Angesprochen auf Söders Atompläne bekundet Fiala durchaus eine große Bereitschaft, Strom zu exportieren. Bloß wann genau, wie viel und wie geliefert werden könne, das kann er nicht sagen. «Tschechien befindet sich in der Phase einer grundlegenden Transformierung der Energiepolitik.» In der zweiten Hälfte der 30er-Jahre stehe möglicherweise Strom dafür zur Verfügung. Kritiker werfen Tschechien übrigens vor, die Energiewende komplett verschlafen zu haben und deshalb weiter so massiv auf Kernkraft zu setzen.
Aus Sicht unabhängiger Energieexperten verhindert der europäische Energiemarkt derartige Energieabkommen: «Es geht nicht: weder technisch noch marktlich noch rechtlich», sagt Forschungskoordinator Felix Matthes vom Öko-Institut. Im Strombinnenmarkt der EU werde Strom weder von Regierungen gekauft noch verkauft. Preise und Mengen werden einzig an der Strombörse ausgehandelt. «Im Übrigen würden die europäischen Institutionen etwaige Versuche der in keiner Weise zu Ende gedachten Söder’schen Markteingriffs-Fantasien sofort verbieten.»
Söder sieht das anders: Eine eigens eingesetzte Arbeitsgruppe solle nun prüfen, wie eine privilegierte Lieferung auch beihilferechtlich «über den normalen Strommarkt hinaus» möglich wäre. Vielleicht könne sich der Freistaat zudem ja «in irgendeiner Form» am Ausbau der Meiler beteiligen. Dies und andere Ideen finden sich in einer Energieerklärung, die er und Fiala mit viel Blitzlichtgewitter unterzeichneten.
Quelle: dpa