Im Neonlicht einer nüchternen Lagerhalle zeigt sich die US-Präsidentschaftswahl in ihrer bürokratischen Reinform: öffnen. Prüfen. Sortieren. Während draußen Menschen Schlange stehen, um frühzeitig ihre Stimme abzugeben, arbeiten die Wahlhelfer in Gwinnett County im Bundesstaat Georgia an den bereits per Post eingegangenen Stimmzetteln.
Die eigentliche Auszählung beginnt erst am 5. November, doch bestimmte Schritte sind schon vorab erlaubt, erklärt Wahlleiter Zach Manifold. Am Wahlabend dürften die meisten Stimmen in seinem Wahlbezirk deshalb ausgezählt sein, sagt er. Doch das heißt längst nicht, dass überall schnell Ergebnisse vorliegen.
In der US-Geschichte gab es häufiger Wahlen, bei denen der Sieger erst nach Tagen feststand. Im Jahr 2000 dauerte es wegen einer umstrittenen Nachzählung und einer Klage vor dem Obersten Gerichtshof sogar über einen Monat.
Doch die Erinnerung an die jüngste Wahl ist besonders frisch – und steckt vielen in den Knochen: Vor vier Jahren schürte Donald Trump tagelang Falschbehauptungen über Wahlbetrug, während sich die Auszählung in mehreren Staaten hinzog. In Georgia war der Kampf damals besonders erbittert. Weniger als 12.000 Stimmen entschieden über den Sieg in dem Bundesstaat. Trump versuchte mit allen Mitteln, sogar mit einem berüchtigten Anruf beim obersten Wahlaufseher im Bundesstaat, das Ergebnis noch umzukehren.
Jetzt, da der Republikaner erneut antritt – gegen die Demokratin Kamala Harris – könnte es ähnliche Szenarien geben. Im Fokus stehen besonders die «Swing States», also Staaten wie Georgia, die keiner Partei fest zugerechnet werden können.
Was erwartet die USA am Wahlabend und möglicherweise danach? Die komplexen Abläufe machen eine Prognose schwer. Starke Nerven sind deshalb unbedingt empfohlen – und es gibt ein paar Orientierungshilfen.
Es gibt mehrere Möglichkeiten:
Jeder Bundesstaat hat dabei eigene Regeln für Fristen und Identitätsnachweise. Auch die Technik variiert: von klassischen handschriftlichen Stimmzetteln bis zu Wahlcomputern.
Das dezentral organisierte US-Wahlsystem erlaubt den einzelnen Staaten viel Freiraum in der Gestaltung des Wahlablaufs. Wahlleiter Manifold sieht darin eine Stärke: «Die Wahlen können nicht wirklich in großem Stil beeinflusst werden.» Doch die organisatorische Bandbreite der insgesamt rund 10.000 Wahlbezirke birgt auch Unsicherheiten. Zur Transparenz sind vielerorts Wahlbeobachter beider Parteien zugelassen.
Zuerst einmal wegen der schieren Größe der USA: Die Auszählung von voraussichtlich rund 160 Millionen Stimmen in verschiedenen Zeitzonen erfordert erhebliche Ressourcen. Besonders die Briefwahlstimmen verzögern in einigen Staaten den Prozess, weil sie dort erst am Wahltag geöffnet und bearbeitet werden dürfen.
Während die meisten Staaten – wie Georgia – bestimmte Schritte vorziehen, geht das etwa im bevölkerungsreichsten Staat unter den sieben «Swing States», in Pennsylvania, und auch in Wisconsin nicht. Allerdings nutzten 2020 viele Amerikaner pandemiebedingt die Briefwahl, was diesmal weniger erwartet wird. Ein weiteres Hindernis können komplizierte Stimmzettel oder Anforderungen für den Identitätsnachweis sein, die in einigen Staaten vorgeschrieben sind.
Absolut. Einige Staaten beginnen mit der Auszählung der am Wahltag abgegebenen Stimmen. Diese kommen dann oft eher den Republikanern zugute, weil Demokraten tendenziell stärker die Briefwahl nutzen. Dies kann dann zunächst einen Vorsprung für Trump suggerieren, der sich durch die später ausgezählten Briefwahlstimmen zugunsten der Demokraten verschieben könnte – ein Phänomen, das Raum für Falschbehauptungen bietet, wie der Republikaner sie schon 2020 schürte.
Falls die Zahlen gegen ihn sprechen: höchstwahrscheinlich. «Er hat den Leuten so oft gesagt, dass die Wahl (2020) gestohlen wurde, dass die meisten Republikaner das auch glauben», erklärt Charles Bullock, Wahlexperte an der Universität von Georgia.
Schon jetzt streut Trump wieder Zweifel und bereitet seine Anhänger darauf vor, das Ergebnis infrage zu stellen. Diese Rhetorik könnte Bezirke unter Druck setzen, ihre Ergebnisse akribisch zu prüfen.
Wahlleiter Manifold betont, dass US-Wahlen heute präziser ablaufen als je zuvor. «Doch wer sich nur über soziale Medien informiert und all die Falschinformationen konsumiert, bekommt ein verzerrtes Bild davon, wie Wahlen tatsächlich funktionieren.»
Ja – in einigen Staaten wird dann automatisch nachgezählt. Bei größeren Abständen können die Kandidaten in manchen Staaten eine Nachzählung beantragen. Das Ergebnis ändert sich dadurch allerdings fast nie, sagt Wahlexperte Bullock.
Da es in den USA keine zentrale Wahlleitung gibt, sind alle Blicke auf die «Decision Desks» der Medienhäuser gerichtet – sie rufen auf Basis von Wählerbefragungen und ersten Stimmauszählungen einen Sieger oder eine Siegerin in den einzelnen Bundesstaaten aus. Ob noch in der Wahlnacht feststehen wird, wer insgesamt gewonnen hat, ist unklar. 2020 dauerte das mehrere Tage.
Bis es ein hochoffizielles Ergebnis gibt, braucht es ohnehin deutlich mehr Zeit. Die Resultate aus allen Bundesstaaten müssen offiziell zertifiziert werden: auf lokaler Ebene, von den Bundesstaaten und schließlich vom US-Parlament. Bei diesem komplizierten Prozedere, dass sich bis in den Januar zieht, kann es quasi an jeder Stelle Verzögerungen geben – etwa durch politischen Druck.
Es ist zu erwarten, dass Trump-Unterstützer auch diesmal auf juristischem Weg gegen die Ergebnisse vorgehen werden. Bei der Wahl 2020 führten solche Klagen in einigen Bundesstaaten zu kurzen Auszählungsstopps. Bereits jetzt laufen Dutzende Klagen, die hauptsächlich in «Swing States» und von republikanischer Seite eingebracht wurden.
Quelle: dpa