Kurz vor der geplanten Abstimmung im Bundestag sorgt das «Sicherheitspaket» der Ampel-Regierung für massiven Ärger bei SPD und Grünen. Der Chef der SPD-Jugendorganisation, Philipp Türmer, rief die Kritiker der Maßnahmen in der Bundestagsfraktion auf, sich dem Druck von Bundeskanzler Olaf Scholz bei dem Thema zu widersetzen. «Ich hoffe, dass sich niemand, der gegen das Paket stimmen will, davon einschüchtern lässt, und kann nur allen sagen: Lasst Euch nicht unterkriegen», sagte er dem Magazin «Stern». Die Jusos stellen 49 von 207 Bundestagsabgeordneten.
Scholz (SPD) hatte am Dienstag in der Fraktionssitzung die Kritiker des Pakets mit deutlichen Worten zur Zustimmung ermahnt. Nach Angaben von Teilnehmern sagte er, dass er notfalls «von seinen Möglichkeiten Gebrauch machen» wird, wenn die eigene Mehrheit der Koalition in Gefahr gerät.
Führende SPD-Politiker widersprachen aber grundsätzlich der Wahrnehmung, Scholz habe damit die Vertrauensfrage gemeint. «Er hat nicht mit der Vertrauensfrage gedroht», sagte etwa der designierte SPD-Generalsekretär Matthias Miersch in der ARD. Auch im Umfeld des Kanzlers hieß es, eine solche Interpretation sei «etwas übertrieben». Scholz habe eher an die Fraktionsregel erinnern wollen, dass man intern diskutiere und dann geschlossen abstimme für das, was die Mehrheit wolle.
Der Bundestag soll am Freitag nach dpa-Informationen namentlich über das Paket abstimmen. Damit würden die Namen der Abweichler in der Koalition auch öffentlich. Die drei Ampel-Fraktionen stellen zusammen 415 von 733 Abgeordneten. Sie haben also 48 Stimmen mehr als die absolute Mehrheit. Bei einer Probeabstimmung in der SPD-Fraktion am Dienstag gab es nach Angaben von Teilnehmern 20 bis 25 Gegenstimmen.
Wieviele Abweichler es bei den Grünen gibt, ist unbekannt. Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Irene Mihalic, sagte, sie gehe davon aus, dass «eine übergroße Mehrheit» ihrer Fraktion zustimmen werde. Es seien gegenüber dem ursprünglichen Ampel-Entwurf auch Verbesserungen erzielt worden, etwa bei geplanten Leistungskürzungen für Asylbewerber, für die andere EU-Staaten zuständig sind, oder bei geplanten erweiterten Befugnissen der Sicherheitsbehörden im Internet. Sie gehe davon aus, dass die Koalition bei der Abstimmung am Freitag eine eigene Mehrheit im Bundestag erzielen werde.
In einem offenen Brief rufen Grünen-Mitglieder aber dazu auf, gegen das «Sicherheitspaket» zu stimmen. Sie kritisieren geplante Verschärfungen im Asylrecht und bei erweiterten Befugnissen für die Sicherheitsbehörden. «Das sogenannte Sicherheitspaket beinhaltet Maßnahmen, die Grund- und Menschenrechte verletzen. Das müssen wir gemeinsam verhindern», heißt es in dem Brief. «Es wird Deutschland in einen Überwachungsstaat verwandeln.» Bis zum Mittwochnachmittag hatten sich mehr als 270 Mitglieder dem Schreiben angeschlossen.
Die Koalitionsfraktionen SPD, Grüne und FDP im Bundestag hatten sich nach dem mutmaßlich islamistischen Anschlag von Solingen auf das «Sicherheitspaket» verständigt. Es sieht unter anderem Änderungen im Waffenrecht, stärkere polizeiliche Kontrollbefugnisse und Maßnahmen gegen irreguläre Migration vor.
Türmer sagte, er erwarte, dass möglichst viele SPD-Abgeordnete dem «Sicherheitspaket» in dieser Form nicht zustimmen. «Das Paket geht in die völlig falsche Richtung.» Es sorge für eine massive Diskursverschiebung nach rechts, «weil der Kampf gegen Islamismus zu einem Kampf gegen Geflüchtete gemacht wird». Das Paket der Ampel «schikaniert Geflüchtete statt Islamisten, das ist das Grundproblem».
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai kritisierte die Diskussion in der SPD scharf: «Die Blockadehaltung in Teilen der SPD beim „Sicherheitspaket“ ist empörend», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. «Die innere Zerrissenheit der SPD ist völlig unverantwortlich. Denn wir brauchen eine neue Realpolitik beim Thema Migration und bei der inneren Sicherheit – das muss auch die SPD einsehen.»
CDU-Chef Friedrich warnte Scholz (SPD) davor, die Vertrauensfrage als Druckmittel gegen die eigene Fraktion zu benutzen. «Das droht man nur einmal an, beim nächsten Mal muss man es machen», sagte Merz in der RTL/ntv-Sendung «Frühstart».
Quelle: dpa