Nach seinem Treffen mit Wirtschaftsvertretern und Gewerkschaften hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dazu aufgerufen, gemeinsam einen «Pakt für die Industrie» zu schmieden. «Deutschland ist ein starkes Land, das aktuell vor großen Herausforderungen steht», sagte er nach den Beratungen im Berliner Kanzleramt. «Jetzt geht es darum, gemeinsam anzupacken und mit einem Pakt für die Industrie, der sehr konkrete Maßnahmen umfasst, den Standort zu stärken.»
Scholz hatte zuvor mit 13 Vertretern von Industrieverbänden, Gewerkschaften und ausgewählten Unternehmen über Wege aus der Wirtschaftskrise beraten. Regierungssprecher Steffen Hebestreit teilte mit, dass am 15. November ein weiteres Treffen in diesem Kreis stattfinden soll.
Zuvor hatte die FDP von Finanzminister Christian Lindner einen eigenen Gipfel veranstaltet, zu dem auch der Mittelstand und das Handwerk eingeladen waren. Lindner mahnte danach gemeinsame Richtungsentscheidungen der Ampel-Regierung in den nächsten Wochen an. Spekulationen über ein nahendes Aus der Koalition mit SPD und Grünen wies er zurück. «Es gibt auch so etwas wie eine Regierungsverpflichtung, und für Deutschland ist es allemal besser, wenn eine Regierung eine gemeinsame Richtung findet, sie beschreibt und umsetzt», sagte er.
Konkrete Ergebnisse waren für beide Treffen von vorneherein nicht geplant. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger forderte die Regierung nach dem FDP-Gipfel eindringlich auf, ihre Differenzen zu überwinden und eine gemeinsame Strategie für alle Wirtschaftsbereiche zu entwickeln. «Sie muss gemeinsam – und ich betone gemeinsam – die richtige Wirtschaftspolitik machen, diesen Standort wieder wettbewerbsfähig zu machen.»
Der Industriegipfel, den Scholz vor zwei Wochen im Alleingang ohne seine Koalitionspartner in die Spur brachte, hat für viel Wirbel gesorgt. Die Reaktionen von Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) offenbarten, wie tief die Risse in der Koalition inzwischen sind.
Habeck legte ein Impulspapier vor, in dem er einen milliardenschweren Fonds für mehr Investitionen fordert, der mit Lindner und Scholz kaum zu realisieren ist. Lindners FDP-Fraktion stellte kurzerhand den Gegengipfel auf die Beine.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte anschließend: «Ich glaube, Deutschland sollte wieder in der Champions League spielen. Das sollte unser Anspruch sein.» Dulger betonte, die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland müsse wieder in den Mittelpunkt des politischen Handelns der Koalition rücken. «Wir müssen jetzt nach dem politischen Schaulauf ins Handeln kommen, und es muss geliefert werden.»
Die deutsche Wirtschaft steckt in der Krise, laut Prognosen wird 2024 das zweite Rezessionsjahr in Folge. Wirtschaftsverbände fordern seit langem umfassende strukturelle Reformen: niedrigere Energiepreise, weniger Bürokratie, Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel, runter mit den Sozialabgaben, mehr Geld für die teils marode Infrastruktur. Die Ampel-Koalition hat zwar eine «Wachstumsinitiative» mit vielen Maßnahmen angekündigt. Davon ist aber bisher nichts umgesetzt und einiges strittig. Wirtschaftsverbände halten die Pläne für nicht ausreichend.
An dem Gipfel bei Scholz nahmen sechs Vertreter großer Unternehmen teil, darunter VW-Chef Oliver Blume, bei dessen krisengeschütteltem Konzern es derzeit um Werksschließungen und einen massiven Abbau von Arbeitsplätzen geht. Regierungssprecher Hebestreit machte anschließend deutlich, dass eine Fortsetzung fest vereinbart ist: «Dieses Gespräch ist der Auftakt zu einem Prozess, bei dem die Bundesregierung in den kommenden Wochen gemeinsam mit den Teilnehmern Möglichkeiten erörtert, wie sie weitere Wachstumsimpulse setzen, Industrie-Arbeitsplätze in Deutschland sichern und den Industrie-Standort Deutschland stärken kann.»
Ob Linder und Habeck an der nächsten Runde teilnehmen, blieb unklar. Die beiden Koalitionspartner braucht Scholz aber, um Maßnahmen umzusetzen. «Klar ist, dass wir in den nächsten Wochen alleine schon aufgrund der Zeitplanung für den Bundeshaushalt 2025 ja auch zu einer gemeinsamen Position werden finden müssen», sagte Lindner.
Schon am 14. November ist die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses, bei der die Abgeordneten den Etat für das kommende Jahr festzurren wollen. Wenn sich die Koalition dann nicht darauf verständigt, wie sie die noch offenen Milliardenlücken stopfen will, steht sie ohnehin am Abgrund. Der nächste Gipfel soll am Tag nach diesem Termin stattfinden.
Bei einer Veranstaltung in Köln wich Lindner einer Journalistenfrage danach aus, ob die Koalition Weihnachten noch steht. «Ich glaube, die Zeiten sind zu ernst, als dass wir Koalitionsspekulationen vorantreiben sollten», sagte er. «Es geht um Lösungen in der Sache. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass die Regierungen Lösungen liefern.»
Scholz hatte sich am Wochenende auf seiner Indien-Reise bei einer ähnlichen Frage auch nicht festlegt. Ob die Koalition zusammen Weihnachten feiert, wollte eine Journalistin wissen. «Weihnachten wird immer gefeiert», sagte er.
Quelle: dpa